Marina Abramović

In Londons „Serpentine Gallery“, unweit einer Statue für Peter Pan, der traurig-beispielhaften Kunstfigur für alle ungeliebten Kinder, erschuf die in Jugoslawien geborene Partisanentochter Marina Abramović (1946) im Sommer 2014 mit ihrer Performance „512 Hours“ für drei Monate einen „zeitlosen Raum, in dem Menschen Stunden an Zeit mit mir verbringen können. Das Museum wird leer sein, keine Kunstwerke nirgendwo. Ich werde diesmal einfach alles weglassen, selbst ein Konzept“.

‚Künstler‘ will sie genannt werden, nicht ‚Künstlerin‘: Weil „Kunst kein Geschlecht hat“ und sie „den Feminismus und alles, für was er steht, nicht leiden kann, denn er stellt Frauen in ein Getto. Wenn, dann nennt mich Kriegerin“. Aber diesmal ritzt sie kein Pentagramm in ihren Bauch, läuft nicht mit Wucht gegen Wände, lässt sich nicht über Kerzen aufhängen oder ohrfeigen oder mit Waffen bedrohen und sticht kein Messer in ihre Hand.

„Wir fürchten den Schmerz. Wir wollen nur Dinge tun, die wir mögen. Doch wer immer den Weg des geringsten Widerstandes geht, ändert nichts in seinem Leben und dreht sich im Kreis. Man muss im Leben Risiken eingehen, dorthin gehen, wo noch keiner war. Als Kolumbus nach Westen aufbrach, dachte man noch, die Erde wäre eine Scheibe. Er stach mit der Angst in See, irgendwann von der Erde zu fallen und entdeckte Amerika. Als Künstler muss man bereit sein, von der Erde zu fallen.“

An ihrem 14. Geburtstag schenkte der Vater ihr einen Revolver, und sie träumte davon, die Mutter umzubringen, die ihr ganzes Leben kontrollierte. Nachdem sie ihren Körper und ihre Seele über Jahrzehnte zwanghaft freiwillig traktiert hat, liegt jetzt unglasubliche Schönheit auf ihr wie ein Wahrheitsglanz. Das vage Experiment in „Kensington Gardens“, das mitten in unserer SackgassenGesellschaft Verzicht in Bereicherung und Lärm in Stille umwertet, ist Marina Abramović zum Erstauen ihrer Kritiker und Bewunderer vollkommen gelungen. Ein aufgedunsener Kunstmarkt hat sie von ihrer Sehnsucht nach Berührung und innerer Einkehr nicht abbringen können.

„Nie hätte ich gedacht, dass sich so viele Menschen darauf einlassen würden. Vor allem nicht hier in England. Da bleibt man lieber reserviert, verschanzt sich im Zynismus.“ Jeden Morgen, pünktlich 10:00 Uhr vormittags öffnete sie drei Monate lang die gläsernen Flügeltüren der Galerie, trat ins Freie und begrüßte jeden Gast persönlich: „Ich bin für Sie da. Ich verstecke mich nicht. Ich mache mich verfügbar.“