Ist Undenkbares denkbar? Das ist keine spaßige Wortspielerei mit einem Paradoxon, sondern der ernsthafte Hintergrund, vor dem sich, wie vor dem legendären Sphinx, die Frage formt, ob unser Denken, auf das wir so stolz sind, an dem wir uns so gern berauschen, nicht letztlich doch begrenzt ist und uns – bis an das Ende unserer Tage? – gefangen setzt. Gibt es eine darüber hinaus reichende Antwort, mit der wir an ihm (dem Sphinx) vorbeikommen und in ihn (den Hintergrund) eindringen können? Als ein Gebilde aus Raum und Zeit vermuten wir ihn, haben aber kaum Indizien für Strukturen oder Wesenhaftes, für (in unserer begrenzten Begrifflichkeit) Kontinuität oder Chaos, geschweige denn für Zusammenhänge. Das Wort ‚unendlich‘ soll uns den Weg freimachen, ist aber nur ein Schnippchen, das wir uns selber schlagen. Und jetzt? ‚Aus die Maus‘?
Wenn wir für ein Ereignis eine Erklärung finden, sind wir meist schon zufrieden. Ist uns im Lauf der Zeit klarer geworden, dass sie meistens nicht einmal die halbe Wahrheit ist? Komplexes Denken ist unsere Stärke nicht. Warum nicht, wenn wir doch in der Lage dazu sind?
Warum ist alles so kompliziert, denken wir, anstatt die Zusammenhänge zu gebrauchen, so dass uns die Welt verständlicher werde und die Zukunft aussichtsreich. Oder, im Gegenteil, auswegloser? Manchmal kommen mir Erkenntnis und Handeln wie ein unversöhnlicher Dipol vor, anstatt sich zu einer gemeinsamen Kraft zu verbinden. Die aber ist nötig, wenn wir noch ein Weilchen auf dem Planeten bleiben wollen. Doch wir denken vor allem simpel und eigennützig und verheddern uns hoffnungslos in Folgen und Nebenwirkungen.
Mutmaßungen über die Entstehung unseres Denkens sollen hier keine Rolle spielen. Die Feststellung soll genügen, dass es zur Verfügung steht. Das halte ich weder für einen Glücks- noch Unglücksfall, ebenso wenig für einen Zufall oder ein Spiel. Schon eher halte ich es, inmitten einer fortwährenden Diversifikation der Welt, für ein Indiz einer Sinn-Gabe, für ein dem Ganzen innewohnendes kreatives Prinzip, das die Selbst-Versessenen gern ‚göttlich‘ nennen.
Tatsächlich wollen wir uns seit ungefähr 300 000 Jahren vor allem gut betten. Als Menschheit gelang uns das noch nie. Das jeder zufrieden leben könnte, scheint immer unmöglicher. Ist meine Denk- oder besser Denkunfähigkeit daran schuld? Dafür spräche, dass andere Lebensformen ohne diese Sonderausstattung viel länger da sind und viel besser durch die Zeit kommen. Nur, weil sie sie selbst nicht wahrnehmen? Das scheint mir nicht der Punkt.
Wie denke ich denn? ICH denke ich beim Erwachen, wenn ich mir die Augen reibe, um mich zunächst meiner selbst zu vergewissern. Danach dehne ich meine Wahrnehmung auf meine Umgebung aus, beginne etwas oder setze es fort oder vollende es und plane das nächste. Oft genug plage ich mich herum, äschere mich ab. Manchmal geht es gut voran. Hauptsache, es bettet und umgibt mICH und verschafft ein Gefühl des Halts und der Sicherheit. Das prüft ICH am Ende des Tages. Manches ist ihm widerfahren, vieles rätselhaft geblieben. Hauptsache es ihm, dass es noch da ist und mit sICH übereinstimmt. Dann hat es, denkt es, offensICHtliICH alles rICHtig gemacht. ICH ICH ICH.
Das geht so lange gut, bis meine Schnittstellen zu allem und zu allen anderen immer weniger funktionieren, so dass es mir immer schlechter geht, bis zuletzt geht gar nichts mehr geht. Jedenfalls nicht mit mir. Besser ohne mich? Hat das alles, denke ich dann, überhaupt einen Sinn? Nein, hat es nicht. So nICHt: so auf Übereinstimmung mit sICH versessen inmitten ständigen Wandels. Dass er die Welt bestimmt, weiß ICH doch längst. Aber einmal zu Gange, einmal ‚im Geschäft‘ und in meinen vielen ausgeklügelten Konstrukten, die immer nur wieder mICH reproduzieren, gebe ich diesen WerdeGang nicht auf.
Anders denken müsste das ICH sICH stattdessen. Aber wie und warum, wenn es nicht sich zugute kommt? Dann jemand anderem? Ist ICH noch ganz dICHt, denke ich dann und wie schön es wäre, wenn Gefahr, die ich heraufbeschworen habe, wenn Not, die ich leide, keine wäre oder sich wieder aus der Welt schaffen ließe oder sich wenigstens so in ihr unterbringen, dass sie (die Welt) auch weiter Platz für mICH hat. Ja, das wäre so schön! – Aber selbst Stephen Hawking, ein Großmeister der Phantasie und Kreativität, wollte am Ende des Tages, mit dieser Einsicht, als Menschheit nur noch weg: möglichst zeitnah die irdische Gravitation, die Haftungsfähigkeit überhaupt überwinden. Das war seine Vision. Ein riesengroßer UnSinn. Oder seine heftigste Provokation.
Nein, so wird das nichts. So komme ich zu nichts und nirgendwohin. Stattdessen sollte ich nach dem Erwachen meine Perspektive verlassen und andere suchen und aus ihnen heraus die Welt sehen und bedenken, um am Ende des Tages anders wieder bei der eigenen zu sein.
Nur so werde ich die Chance haben, ohne Angst und Schrecken in den nächsten zu finden: nicht mehr ganz bei mir, nicht mehr nur ICH, sondern bereit und offen für ein DU oder WIR sogar. Um sie zu entdecken. Um mich zu verändern: aussICHtsreich.
Das wäre schon alles. Jedenfalls das Nötigste. Die gute Nachricht ist, dass ich dazu immer schon und immer noch imstande bin. Doch muss ich lernen, so wie die Sprache und den aufrechten Gang, und muss es lernen wollen: für eine Zeit über die eigene Zeit hinaus.