Fachkräftemangel

„Lehrlinge fehlen händeringend“, erzählt ein Journalist, eine Fachkraft, im Deutschlandfunk. Meines Erachtens fehlen sie so wenig wie beispielsweise die Muscheln in der Ägäis, wodurch, vom gleichen Radiosender mitgeteilt, viele griechische Familien im nächsten Jahr ihre Existenzgrundlage verlieren werden. Ich meine, dass es erst einmal an korrekter Sprache fehlt.

Tatsächlich besteht der jetzt alarmistisch verkündete Mangel darin, lange, viel zu lange an der Wirklichkeit vorbei entschieden, gelebt und regiert zu haben. Anders gesagt klammern wir uns lieber an Überzeugungen und Illusionen, als unser Handeln an der Wirklichkeit zu orientieren.

Aus dieser – meiner Überzeugung – heraus, folgt meine These, dass kein Mangel an Muscheln und Fachkräften besteht, sondern genau so viele vorhanden sind, wie aus unserer Daseinsart und -weise zu erwarten sind. Dass sie jetzt fehlen, ist Tatsache, doch mitnichten eine Überraschung. Um in unserer unmittelbaren Umgebung zu bleiben, heißt das, es ist in jedem Tätigkeitsbereich momentan genau das Personal da oder eben nicht da, für das wir seit Jahren und Jahrzehnten sorgen – oder eben nicht.

Wenn ich niemand Einzelnem Vorsatz unterstelle und Universitäten, Institutionen und Parlamenten mit ihrem geballten Menschenverstand nicht in Frage stellen will, kann ich die Ursache für die vielen Fehlstellen im System nur systemisch erklären – system@isch.

Oder wissen wir nach wie vor nicht, was wir tun? Dem Narrativ zu folgen, Bäcker und Bankerinnen, Lehrerinnen und Lokführer, Pfleger und Landwirtinnen würden auf einmal in Schwarzen Löchern verschwunden sein, habe ich auch keine Lust. Für deutlich wahrscheinlicher halte ich, dass – wie im großen Ganzen – auch in der Welt der Arbeitskräfte alle mit allem zusammenhängen.

Mathematisch ausgedrückt leben wir in einer dynamischen Gleichung, die die Bestandsfähigkeit von 85 Millionen Menschen ausdrückt. Da sie aber fortwährend zur Ungleichung tendiert, muss das System, will es sich nicht selbst auflösen, ständig um sein Gleichgewicht kümmern. Für ein demokratisches Gebilde folgt daraus, dass der Souverän, das Volk – und im Besonderen das ICH – sich dementsprechend einzurichten hat.

Mein Eindruck ist, dass dieses ICH dazu nicht in der Lage ist. Warum tue ich in Anbetracht der Wirklichkeit nichts oder so wenig? Aus meinem Unvermögen, sie wahrzunehmen? Aus Bequemlichkeit? Aus Mangel an einem geeigneten Sinnesorgan? Oder weil ich mich lieber täuschen lasse? Oder selbst gern täusche? Wäre es vielleicht aussichtsreicher, mich zunächst einmal zu enttäuschen? Wäre das – am Ende fast – ein brauchbarer Anfang?

Ein Gedanke zu „Fachkräftemangel

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