Vor zehn Jahren beeindruckte mich der französische Sience Fiction-Film „8th Wonderland“ mit der Idee eines virtuellen Staates. Nun soll er in Wirklichkeit entstehen.
Im Film treffen sich weltweit Gleichgesinnte in meist gehobenen Positionen von Politik und Wirtschaft im Internet, um die Aufmerksamkeit auf globale Zusammenhänge zu richten und um globale Konflikte zu lösen. Mit überraschenden Aktionen verunsichern sie das Establishment, brechen scheinbar unangreifbare Strukturen auf und üben Druck auf Entscheidungsträger aus. Jean Mach, einer der zwei Regisseure des Films, spricht vom Internet als einem Werkzeug, das „den Unzufriedenen des gegenwärtigen Systems“ dazu dient, sich zu sammeln.
„Im Internet entgleitet den Regierungen die Macht.“ Die Utopie, dass jeder „unabhängig von seiner politischen Ansicht, Position und seinem Bankkonto […] die gleichen Rechte hat [und] gleich behandelt [wird]“, wird im Internet zur realen Möglichkeit. „Man definiert soziale Werte neu, sobald man sich von den üblichen Unterdrückungsmitteln befreit hat.“ Dennoch lässt Mach seinen virtuellen Staat scheitern: An der Eitelkeit seiner Akteure, die sich an ihrer Schöpfung berauschen und in die Vorstellung versteigen, dass „[8th Wonderland] in der Lage wäre, jedes denkbare Problem zu lösen – und zwar mit kurzfristigen Mitteln.“ Nachhaltige Lösungen werden aber nur im Diskurs gefunden und sind ein oft andauernder Prozess. Machs Protagonisten „sind sich bewusst, dass sie die Sache vergeigt haben, aber sie versuchen, ihr Land wiederaufzubauen unter Berücksichtigung ihrer Irrtümer.“
Heute wirbt der Brite Simon Anholt, studierter Anthropologe und früherer Politikberater, im Internet um Mitbürgerschaft in einem „Good Country“, ein Land, das rein digital existiert, niedrige Steuern hat, weil keine Straßen und Schulen gebaut und keine Grenzen verteidigt werden müssen. Ein Land mit dem einzigen Ziel seiner BürgerInnen, für ein allgemeines Wohl zu sorgen.
In einer Startphase können sich 200 000 Interessenten bis zum Jahresende als Bürger registrieren. In einer zweiten Phase will Anholt sicherstellen, dass alle Prozesse reibungslos funktionieren. Ab September 2019 soll Good Country dann für jeden offen sein.
Den Namen leitet Anholt von einem von ihm entwickelten „Good Country Index“ ab. Das ist eine Rangliste von Staaten, die bemisst, wie viel ein Land für den Rest der Menschheit leistet. Zum Beispiel, wie stark es sich in der Friedenspolitik, im Klimaschutz oder in der Wissenschaft engagiert. Nach einer aktuellen Erhebung des World Values Survey – laut Wikipedia ist das ein permanentes „akademisches Projekt von Sozialforschern, um den Status von soziokulturellen, moralischen, religiösen und politischen Werten verschiedener Kulturen der Welt zu ermitteln“ – teilen zehn Prozent der Weltbevölkerung ein kosmopolitisches Werteverständnis. Für das Good Country wären das ungefähr 760 Millionen potenzielle BürgerInnen – nach China und Indien die drittgrößte Nation der Welt.
Seine fehlende Territorialität versetzt es in die Lage, seine Aktivitäten weitgehend nach außen zu richten und auf ein gemeinschaftliches Verhalten hinzuwirken, das grundsätzlich auf diplomatisch, dialogisch und diskursiv gewonnene Übereinkünfte und Lösungen setzt. Hier deckt sich Anholts Idee bemerkenswert mit dem konstruktiven Fazit des Filmers Mach.
Eindeutig liegt das Potenzial des Good Country in einem Gegenpol zu den nationalen Ausrichtungen der Territorialstaaten und schafft mit seiner ganz anderen Verfasstheit einen völlig neuen Ansatz, globale Interessen zu verkörpern und zu vermitteln. Wie genau die Agenda der ersten Jahre aussehen könnte, sollen die BürgerInnen auf demokratischer Basis selbst entscheiden.