grenzenloses Vergnügen

Am 13. August 1961 war ich zwölf Jahre alt und wie jedes Jahr in den Großen Ferien mehrere Wochen zu Besuch bei Tante und Onkel in Oberschlema (heute Stadt Aue-Bad Schlema). Sie wohnten in der Bergstraße in einem dreigeschossigen Wohnblock für 12 Familien. Am Vormittag jenes Sonntags hielt ich mich mit meinem Cousin und anderen Kindern auf einer der Giebelseiten des Hauses auf, wo ein freier Platz zum Wäschetrocknen eingerichtet war. Hing keine Wäsche, durften wir dort spielen. Währenddessen werkelten mein Onkel und andere in ihren Schuppen, die ebenfalls an den Trockenplatz grenzten und auf der Bank an der Hauswand unterhielten sich Frauen.

Ich erinnere das so gut, weil auf einmal meine Tante im ersten Stock das Kinderzimmerfenster öffnete und das Radio hineinstellte, aus dem musikbegleitet zu den Ereignissen in der DDR-Hauptstadt berichtet wurde. Dort musste etwas Besonderes passieren, denn so etwas hatte die Tante noch nie getan. Zudem war ihr Radio ein stattlicher Kasten und stand  im Wohnzimmer.

Noch zwei Wochen zuvor war ich mit ihr, dem Onkel und meinem Cousin in Berlin gewesen. Wir hatten uns in Potsdam bei privat einquartiert und waren jeden Tag mit der S-Bahn durch Westberlin in die Hauptstadt gefahren, um zum Beispiel Doktor Dathes Tierpark, den Plänterwald und die Pionierrepublik am Werbellinsee zu besuchen. Durchquerten wir den Westteil, kamen regelmäßig DDR-Polizisten durch die Wagen und kontrollierten Ausweise. Vermutlich merkte ich mir das, weil auf einer dieser Fahrten ein Mann mir gegenüber aufgefordert wurde, dafür seine Sonnenbrille abzunehmen.

Nach der Rückkehr, beeindruckt vom Großstadtverkehr mit den rot-gelben Zügen, zeichnete ich tagelang auf viele Seiten Millimeterpapier, das der Onkel mir gab, ein ungeteiltes Verkehrsnetz mit vielen Bahnhöfen, die wir benutzt oder durchfahren hatten, beschriftete sie korrekt und fügte die Blätter zu einem großen Rechteck zusammen. Auf Pappe malte ich viele kleine S-Bahnzüge und schnitt sie aus. Damit spielte ich den Rest der Ferien über, meist mit dem Cousin, und noch lange danach, wieder zu Hause in Dessau.

Hätten die Erwachsenen dieses grenzenlose Vergnügen in irgendeiner Weise kommentiert, wäre mir das, denke ich, auch in Erinnerung geblieben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert