Im Deutschlandfunk spricht der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber über sich, das Klima und menschliche Einflüsse darauf. Seit mehr als 100 Jahren sind, sagt er seinem Gesprächspartner Georg Ehring, ein Redakteur des Senders, die wissenschaftlichen Grundlagen klar. 1896 veröffentlichte der schwedische Physiker und Chemiker Svante Arrhenius als Erster eine Schrift über die globale Erwärmung aufgrund der anthropogenen Kohlendioxid-Emission. Ausgerechnet hat er damals, dass das Verbrennen von Kohle in großem Umfang zu einer spürbaren, messbaren, möglicherweise katastrophalen Veränderung des Weltklimas führt.
„Wenn etwa der grönländische Eisschild oder das Meereis oder sogar der antarktische Eisschild abschmelzen, wird der Meeresspiegel ansteigen und wenn das wirklich geschieht, hat Arrhenius damals schon kalkuliert, um 40, 50, 70 Zentimeter.“ Verbunden mit einem Temperaturanstieg an der Erdoberfläche um bis zu drei Grad.
Noch 1992, fast 100 Jahre später, als Schellnhuber Gründungsdirektor des „Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung“ wurde, war offen, ob der Mensch tatsächlich das Klimasystem der Erde stören kann und was die Auswirkungen wären.
„Verändert sich der Golfstrom, der das Klima von Europa bestimmt und so weiter? Es war ein Wald von Fragezeichen und man hat mich aufgefordert, in diesen Wald hineinzumar-schieren. Ich habe tatsächlich gedacht, wir werden die meisten Fragezeichen in Ausrufezeichen verwandeln und dann wissen, ob es entweder eine harmlose Störung der Umwelt ist und wir es zu den Akten legen können – oder erkennen, dass es eine dramatische Jahrhundert- oder sogar Jahrtausendherausforderung ist, und dann werden wir natürlich ganz schnell entsprechende Maßnahmen ergreifen.“
Das wurde dann klar.
„Die physikalischen Grundlagen sind seit Arrhenius schon klar gewesen. Es war eher die Frage, kann ich den menschlichen Einfluss schon in den Messdaten nachweisen, die Frage des ‚human fingerprint‘.“
Auch das wurde beantwortet.
„Ich kann mich genau an Gespräche mit Klaus Hasselmann erinnern, damals Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, der auch davon ausging, entweder es stellt sich heraus, wir reden von einer Lappalie oder wir haben ein Problem, das jeder Politiker der Welt ernst nehmen wird. Dann können wir das irgendwann auch zu den Akten legen. Ich habe tatsächlich gedacht, 2022 ist das 1992 gegründete Institut, so oder so, nicht mehr notwendig. Da habe ich mich nun wirklich geirrt.“
Stattdessen wurden die Forschungsergebnisse in Frage gestellt. Zum Beispiel vom US-amerikanischen Mineralölkonzern Exxon.
„Die bittere Ironie ist, dass Exxon selbst schon in den 1980er Jahren mit den eigenen Forschungsabteilungen genau die Ergebnisse von Arrhenius reproduzieren konnte. Sie haben die fatale Entscheidung getroffen, die Ergebnisse der eigenen Forscher in den Giftschrank zu legen und stattdessen eine Verunsicherungskampagne gestartet.“
Aus denkbar schlechten guten Gründen, systemischen. Die ein gewisser Karl Marx 1867 in seinem Werk „Das Kapital“ veröffentlichte. Das und die Bände 2 und 3, die Marx‘ Freund und geistiger Weggefährte Friedrich Engels postum in die Welt brachte – den dritten 1894, nahe bei Arrhenius –, hat Schellnhuber in seinem niederbayrischen Zuhause, der protestantischen Enklave Ortenburg, bereits als 14- und 15-Jähriger gelesen. Nebst der „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant und „Mein Weltbild“ von Albert Einstein.
„1994 war die wissenschaftliche Debatte beendet, aber genau in der Zeit begannen immer stärker die von Lobbygeldern angetriebenen Skeptiker- und Leugnerbewegungen, die in-zwischen erfolgreicher sind denn je. Große Konzerne haben alle Mittel zur Verfügung, um sich Leute zu kaufen. Auch gute Physiker wurden von der Industrie gekauft, um quasi immer nur den Zweifel zu nähren, und immer wieder finden sich auch Kollegen, die bereit sind, sich dafür herzugeben.“
Weil wir sind wie wir sind, wir Menschen. Und immer schon waren. Von Anbeginn und bleiben. Bis zum Abgesang. Naturwesen. Naturgeschehen.
„Die eigentliche Erklärung ist aber reine Psychologie. Ich habe den Klimawandel mal als einen Asteroideneinschlag in Superzeitlupe bezeichnet. Wir wissen, da kommt etwas auf uns zu, was die Hälfte der Erde zerstören könnte. Das passiert so langsam, dass wir uns an diese Bedrohung gewöhnen, und dann haben wir immer andere Sorgen: Wie komme ich bis zum Monatsende über die Runden?; Kinder sind krank; angeblich sind bedrohliche Ausländer in meiner Nachbarschaft, die meiner Tochter nachstellen würden. Die ganze Litanei. Immer gibt es kurzfristig oder mittelfristig etwas, was wichtiger und dringender scheint, als die Bewahrung der Schöpfung.“