Kann Selenskyj bleiben?

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Im Deutschlandfunk berichtet die Journalistin Karina Beigelzimer in der Sendung „Europa heute“ über Proteste, die es in Odessa seit dem 3. September und inzwischen auch in Kiew, Lemberg und Riwne gibt. „Alles hat mit der Bekanntgabe der Stadtverwaltung von Odessa begonnen, die für mehr als umgerechnet 2,7 Millionen Euro die Renovierung des Bezirksgerichts beschlossen hat. Das löste einen Aufschrei aus. Die Menschen in Odessa waren empört über diese Ausgaben, während an der Front Schutzausrüstungen fehlen.“

Initiatorin der „breiten Proteste“ ist Kateryna Noschewnikowa, „eine bekannte Person nicht nur in unserer Region sondern in der Ukraine, die jeden Tag Briefe und E-Mails von Soldaten mit der Bitte um Hilfe bekommt“. Sie sagt, man werde nicht zulassen, dass auch nur eine Hrywnja (die ukrainische Währung) für nicht prioritäre Projekte ausgegeben werde. Trotzdem hat die Stadtverwaltung am 27. September mit der schlichten Begründung, dass sie wichtig sei, die Renovierung beschlossen.

Was „breite Proteste“ bedeute, fragt die Moderatorin der Sendung. „Das waren hunderte, tausende Menschen, die ein oder zweimal jede Woche vor der Stadtverwaltung protestiert haben“, antwortet die Journalistin. „Gibt es auch andere, die sagen, haltet zusammen, macht jetzt keine Demos gegen die Politiker und achtet darauf, dass wir nicht gespalten werden“, wird nachgefragt.

„Nicht viele“, ist die Antwort. „Die meisten haben diese friedlichen Proteste unterstützt, und es gibt immer mehr und mehr, die an diesen Protesten teilnehmen wollen. Sie fordern eine gerechtere Verteilung der Haushaltsmittel. Das ist ein Ziel, das alle einigt, würde ich sagen. Ich war am Samstag und Mittwoch vor dem Rathaus und habe das alles gesehen, auch Kateryna Noschewnikowa, die einige Verbesserungen sieht, die aber bei Weitem nicht ausreichen.“ Die Streitkräfte benötigen dringende Unterstützung, ebenso wie der zivile Bereich, für Schutzbunker, für die Instandsetzung von Dächern und die Beseitigung von Schäden an Wohngebäuden, die von Raketen getroffen wurden. Krankenhäuser müssen einsatzbereit bleiben.

„Eine Szene hat mich in der letzten Woche sehr bewegt. Die Bewohner von Odessa haben während ihrer Protestaktion vor den Familien der gefallenen Verteidiger, die ebenfalls anwesend waren, niedergekniet. Diese Leute wissen, wie essentiell es ist, alles Notwendige für den Schutz der Soldaten zu gewährleisten.“ 

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Aus dem Gefühl meines Wohlbefindens heraus mag das Ziel des ukrainischen Präsidenten, diesen Krieg unbedingt gewinnen zu wollen, ein politisch und moralisch gerechtfertigtes sein und ein bedingungsloser Frieden eine schmähliche Niederlage. Ist es nicht sein gutes Recht, dem Aggressor seine historische Unverschämtheit heimzuzahlen? Was ich dabei übersehe – ich gebe mir Mühe, nicht so genau hinzuschauen, denn ich will ja weiterhin meine Ruhe haben – ist, dass seit dem ersten Tag, an dem er dagegenhält, das Ergebnis seines Handelns dem des unverschämten Aggressors ähnlicher wird.

Längst hat Wolodymyr Selenskyj sich und sein Volk zur Kriegspartei gemacht. Fortwährend verbreitet und erleidet es mit ihm Angst und Not und Tod und Schrecken. Verzweifelt folgen ihm die, die im Land geblieben sind. Überwiegend sind sie noch überzeugt von den täglichen Ansprachen und Befehlen, doch mit jedem Tag, den der Krieg andauert, werden es weniger und das Land wird kaputter.

Schlimm ist das Blut, das fließt, versickert und gerinnt – nicht nur das eigene. Schlimmer sind die Toten. Am schlimmsten aber sind die kaputten Seelen, die der Krieg hinterlässt. Sie verwüsten die Zukunft auf unabsehbare Zeit und mutmaßlich heillos. Herbeigesehnte und erkämpfte Siegesfeiern dereinst würden das wettmachen? Was für eine Selbsttäuschung. Was für ein jetzt schon gescheitertes Narrativ.

Kinder und Kindeskinder werden vielleicht noch in der Lage sein, die von ihren leidenden, kämpfenden, sterbenden Eltern hinterlassenen Trümmer zu beseitigen. Ihre eigenen zerschundenen Seelen werden zerschunden bleiben, deformiert von den heutigen Zumutungen ihres Anführers.

Mit Wut und Mut und Solidarität können Menschen, die sich ans Überleben klammern, die Dauer eines Krieges ertragen, doch wehe, er endet eines Tages. Dann ist Himmelblau nur noch farblose Leere, Gegenwart nur noch schmerzhaft, Lachen nur noch Maskerade und Zukunft so ungewollt wie nur irgendwas.

Warum tun wir das? Warum lassen wir das immer wieder mit uns machen?

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